17.08.13 Rückwärts wider Willen

Wochenlang sah der Museumshafen ein wenig gerupft aus. Nur wenige Schiffe lagen am Bohlwerk. Gäste? Fehlanzeige. Der Hafen so leer, als hätte jemand den Stöpsel gezogen und alle Schiffe wären raus geschwemmt worden. Wurde gefragt "Wo sind die Schiffe?" hieß die korrekte Antwort "Die sind unterwegs". Häfen sind, wie Bahnhöfe auch, Orte wo Kommen und Gehen den Tag bestimmt. Da ist ein leerer Hafen ein Widerspruch in sich. Nun sind die Schiffe wieder zurück, einige legen wieder ab und andere legen wieder an.
Die Anlegemanöver sind immer wieder ein interessantes Schauspiel und lassen die Passanten rasten um zu sehen, was nun passiert. Selbst regelmäßige Besucher werden immer wieder von dem Schauspiel gefesselt. "Kann er's oder kann er's nicht?" das ist dann die Frage. Wobei "ER" der Mann *) am Ruder ist, eine Hand demonstrativ lässig auf dem Schalthebel der Schiffsmaschine, und "ES" das Einparken in die Box. Rückwärts natürlich. Ideal ist es, wenn das Schiff berührungsfrei in einem Zug zu seiner endgültigen Position einfährt. Und das bei allen Windverhältnissen. Wer schon mal einen "Langkieler", also ein Segelschiff mit einem traditionellen Rumpf rückwärts gefahren hat, weiß, das es bei Rückwärtsfahrt einen eigenen Kopf hat.  Es ist ist nun mal dazu bestimmt, unter Segeln voraus zu fahren. Alles andere kann sozusagen nach hinten losgehen. Und weil das so ist, sind auch erfahrene Schiffsführer manchmal ein wenig, nun, sagen wir es mal so: aufmerksamer als sonst. "Sind die Vorleinen klar?" ist dann zu hören oder "nein, keine Fender" oder auch "Fender nach Backbord!"
Es gibt Menschen, die leben, fahren, leiden förmlich mit, wenn der Mann am Ruder dem Schiff klarmacht, wo es langgeht. Hat es geklappt, kann es auch mal zu Beifall kommen. Auch für Erfahrene kann es gelegentlich eng werden, für Neulinge (um das Wort "Anfänger" zu vermeiden) sowieso. Dann hilft nur Eines: Manöver abbrechen und neu anlaufen. Und alle an Land sehen zu! Die auf den anderen Schiffen sehen demonstrativ weg, aber im äußersten Augenwinkel bekommen sie trotzdem alles mit. Da muss der geprüfte Schipper dann einfach durch, denn irgendwo muss er ja an Land gehen und man kann doch nicht einfach alle Leute wegschicken.
Traditionelle Segelschiffe fahren hauptsächlich "nach der Schraube". Je nach dem Drehsinn des Antriebspropellers zieht das eine Schiff nach links, das andere nach rechts. Das ist in 90 Prozent der Fälle exakt die falsche Richtung. Die Stellung des Ruders ist bei manchen Schiffen dabei vollkommen gleichgültig. Erst wenn die Schraube steht, kommt es wieder zur Geltung. Vorausgesetzt, es ist genug Fahrt im Schiff. Während dessen drückt der
MISTRAL mit "Rudermaschine" längsseits
Wind gegen Rigg und Rumpf und treibt das widerspenstige Ding auch noch seitlich aus der Box. Es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass der Wind immer dann zunimmt, wenn man anlegen will. Die Gründe dafür herauszufinden, wäre einmal ein Thema für einen Forschungsauftrag.

Es  geht natürlich auch ganz anders. Bei Schiffen ohne eigenen Antrieb kann das ganze Spiel von vor und zurück auch einem Schlepper überlassen. Das war gestern zu beobachten, als MISTRAL, die klassische Yacht von L. Francis Herreshoff ihren Liegeplatz vor den Kontorhäusern an der Ostseite des Hafens ansteuerte. Sie nahm einen hilfreichen kleinen Schlepper  als "Rudermaschine" längsseits. Allerdings schien es bei dem frischen Wind zeitweilig so, als würde das Schlepperlein von MISTRAL geschleppt.
Vor Jahren, als NORDLYS noch im Museumshafen lag, gab es immer wieder ein Schauspiel eigener Güte. Die Maschine war desolat und die Schraube lag irgendwo auf dem Meeresboden, also musste sie immer Hand über Hand in die Box verholt werden. Der Schipper konnte das mittlerweile so gut, dass seine Manöver meist fast so schnell waren, wie wenn er sie mit der Maschine gefahren hätte.

*) Die verehrten LeserInnen mögen verzeihen, aber es sind nahezu immer Männer, die Anlegemanöver rückwärts fahren. Eine Abwechslung wäre durchaus willkommen. Also bitte: nur Mut! Sie können das!