14.07.17 West drei

Es gibt Tage, an denen man die Pflicht Pflicht sein lassen muss, um sich den schönen Dingen zu widmen. Etwas tun, wofür es sich zu leben lohnt. Es muss ja nicht immer dasselbe sein. Mal ist es ein Spaziergang rund um Holnis, mal ist es ein Besuch im Museum. Doch gelegentlich muss auch das Boot bewegt werden, auch wenn die Wetteraussichten nicht ganz ideal sind. Nicht ganz ideal sind: erstens Tage mit Sturm, dass die Kühe fliegen und Wolkenbrüchen und zweitens  Flautentage bei brütender Hitze. Gestern sollte es weder die erste noch die zweite Kategorie sein. Der Wind hatte sich laut Wettervorhersage vorgenommen die drei-Beaufort-Marke nur in Böen zu überschreiten und aus West zu wehen.

Auf der Inneren Flensburger Förde segelt man bei dieser Richtung mit raumem Wind. Das ließ sich nach dem Ablegen im Hafen schon recht gut an. Nur der Wind war schwächer als erwartet, sonst hätten wir den großen Klüver gesetzt. Der hat zehn qm mehr Segelfläche; die würden uns sehr bald fehlen. Schon vor der Sonwig drehte der Windhauch auf Südwest. Zuerst in einzelnen leichten Pustern. Danach ging er in  auch schon mal auf Süd. Er änderte seine Richtung schneller, als wir folgen konnten. Manch Anderer kann dann noch immer mit seinem Boot segeln, entweder mit Spinnacker (haben wir nicht) oder vor dem Wind (wollten wir nicht). "Schmetterlingsegeln" ist bei relativ schnellen Winddrehern nervig bis unmöglich. Also entschieden wir uns, vor dem Wind zu kreuzen. Das hat für uns den zusätzlichen Vorteil, dass wir eine unserer "Geheimwaffen" für's Segeln bei schwachem Wind einsetzen können: Das Besanstagsegel. Zwar ist der Weg zum Ziel länger als auf geradem Weg mit Wind von achtern, aber wir segeln schneller als auf dem kurzen Weg. Aber der Mensch denkt, Gott lenkt. Daran hätten wir uns an diesem Tag vor dem Studium der Windvorhersage erinnern sollen. Die versprochene Richtung hatte uns verleitet, den Schlag nach Nordost auf der Ostseite der Förde einzuleiten.

Mit raumem Wind hätten wir den Tag genießen können. Tatsächlich aber segelten wir ziemlich unentspannt immer an der Windkante und fuhren einen Schlenker nach dem anderen. Während wir wegen der Winddreher mehrfach halsten, hatten wir BODIL mit dem hellblauen Rumpf im Blick. Sie hatte vor Kollund, nahe dem Westufer, die Segel gesetzt. Anfangs, als der Wind noch westlich kam, liefen wir etwa gleich schnell wie sie. Als er aber ab der Meierwik zunehmend links drehte, war es vorbei mit unserem bescheidenen Vorteil und wir sahen die Ketsch aus dem Museumshafen bei jedem Schlag ein winziges bisschen näher kommen. Raumschots konnten wir auch den Besan setzen. Das machte uns zwar fast einen Knoten schneller, aber wir mussten auch mehr Ruder legen, je weiter wir vor den Wind kamen. Während wir also noch entlang der Tiefenlinie häkelten, konnten wir unsere "Niederlage" absehen. Schließlich, BODIL segelte bei den Ochseninseln, mussten wir uns geschlagen geben. Ein Holeschlag quer über die Förde hatte uns nicht geholfen.

Glücklicherweise sind wir als hartgesottene Racing-Verweigerer immun gegen das Regatta-Fieber. Wir verzichten auch gerne auf den ersten und sogar auf den zweiten Platz der Rum Regatta. Doch gestern wären wir besser auf der Westseite der Förde gestartet, um den Tag mit einer klitzekleinen Genugtuung zu krönen. Stattdessen mussten wir, wie Stefanie in der amüsanten Frühstücksserie des NDR2, feststellen: "Es iss so wie es iss". Aber schließlich wollten wir ja auch nur zum nahen Ankerplatz segeln und dort entspannt ankommen. Ohne Gegner hatten wir jetzt Muße, uns ein wenig umzusehen.

Sauschnell bei leichtem Wind. Mittlerweile wissen wir,
welches Boot wir nicht gesehen haben. Aber welches es
war, wissen wir noch nicht.



Eine Jolle mit einem ungewöhnlich geformtem Rumpf fesselte unsere Aufmerksamkeit. Das Boot war trotz Schwachwind sehr schnell. Wir rätselten über Art und Herkunft und tippten auf einen Entwurf von Manfred Curry. (Jetzt, wieder mit dem Internet verbunden müssen wir feststellen, dass die es nicht die vermutete AERO II war, die wir beobachten konnten.)

Bei der roten Fahrwassertonne 12 änderten wir den Kurs nach West, wir wollen ankern. Mit gutem Abstand rundeten wir das Huk von Sandager und hielten uns von den Stellnetzen frei, die dort seit ewig betrieben werden. Nun bereiteten wir uns auf den Ankerplatz vor. Als erstes fiel das Besanstagsegel. Das dünne Tuch war sehr leicht zu stauen und im Nu weggeräumt. Dann war das Toppsegel dran. Es machte auf Backbordbug keine Schwierigkeiten. Jetzt nahmen wir die Baumfock mittschiffs und ließen das Segel fallen. Dann rutschte der Klüver an seinem Rackring zum Bug, gefangen vom Diarchy-Stag. Nachdem beide Vorsegel mit ein paar Zeisingen gesichert waren, kamen wir dem Ankerplatz ganz nahe. Den wollten wir heute nicht unter Segeln anlaufen. Der Wind war zu schwach, als dass wir den Anker unter Segeln hätten sicher einfahren können und bei Südwind liegt man hier streng genommen auf Legerwall. Das ist allerdings bei Schwachwind kein Problem. Aber wer weiss, was kommt? Auch vor Anker wollten wir ruhig schlafen können. Also stellten wir für die letzten paar Meter die Maschine an, stellten das Boot in den Wind und ließen den Anker auf sechs Metern Wassertiefe fallen. Wie gewöhnlich auch, fuhren wir ihn sorgfältig ein, bis die Kette steif stand. Jetzt kam noch das Großsegel runter - wir sind da. Der Besan blieb stehen, wie meist am Ankerplatz - das Boot liegt dann ruhiger. Zuletzt wurden alle Leinen aufgeklart und das Boot klar zum Anker auf bereitet. Das hat sich bewährt, denn wenn notwendig, könnten wir in kürzester Zeit aufbrechen.


Wir speisten in Ruhe Rindbraten mit einer Variation von Salaten und kühlem Mineralwasser, danach ein Dessert. Nach dem Abwasch ließ die eine Hälfte der Besatzung lesend, die andere schlafend, den lieben Gott einen guten Mann sein. 

Nur wenige Wellen störten den Frieden. Am Himmel zogen malerische Haufenwolken langsam ihre Bahn, darüber heitere Federwolken und ein leichter Dunstschleier. Leider sind das oft Vorboten einer Wetterfront. Klammheimlich hatte der Wind von Süd auf Ost gedreht. Gelegentlich meldete sich ein Fall klappernd in einer leichten Böe.

Vor Glücksburg kam eine goße Gaffelketsch in Sicht. Später erkannten wir darin den See-Ewer PROVIDENTIA HF42. Auch ARTEMIS segelte Förde-auswärts. Beide machten wohl nur einen kleinen Ausflug, denn später kamen sie wieder zurück. Eine halbe Stunde später kam auch noch der Dreimast-Toppsegelschoner ALBATROS vorbei. 


ARTEMIS (li.) und PROVIDENTIA HF42(re.) kommen
zurück
ALBATROS














Am Nachmittag gabs Madeleines aus dem Bordvorrat zum Cappuchino aber auch häufige Blicke an den Himmel in West. Dort waren die Haufenwolken einer  dunklen Masse gewichen, die langsam anwuchs. Das hohe Ufer hinderte uns zu sehen, was dahinter kam. Zur Vorsicht hörten wir um 16:45 Uhr auf Kanal 23 das Seewetter von Delta Papa 07 ab. Der freundliche Sprecher kündigte für die Nacht Schauer- und Gewitterböen an. Inzwischen hatte Wind zugenommen und auf Südost gedreht: Das Signal zum Aufbruch. Schließlich wollten wir uns erholen und nicht aufregen.

Ein lieber Gruß von Tief Gisela über Bov
Für heute war unser Bedarf an Halsen und Wenden gedeckt und die Maschine sollte auch mal wieder länger als nur ein paar Minuten laufen. Das nahm sie bei 900/min für sechs Knoten Fahrt gerne an und bedankte sich mit behaglichem Grummeln. Jetzt in der Mitte der Förde, konnten wir die Wolkenwand besser sehen. Im Westen entstömten ihr dichte Regeschleier. Der Wind hatte sich entschieden, doch wieder aus Süd zu wehen. Dafür nahm er langsam zu. Vor der Meierwik dreht er dann entschlossen auf West und wurde noch ein wenig kräftiger. Jetzt noch mal umkehren zum Ankerplatz? Nun nicht mehr.  


In Flensburg war es noch immer trocken und wir hatten den vorhergesagten Wind: West drei. So konnten wir ganz entspannt rückwärts auf unserem Liegeplatz einparken. Und auch in der Nacht schreckte uns keine Gewitterböe auf. Glück muss der Mensch haben - und eine zuverlässige Wettervorhersage.